AngeboteÜbersicht
Menümobile menu

Von Trieben und Träumen

Öffentlichkeitsarbeit Dekanat MainzVon Trieben und Träumen - Prof. Hermann Kurzke, Anika Baumann und Henner Momann lesen aus der Josephsgeschichte

„Laban führte den Jaakob hinein an seiner Hand. Er ließ hinleuchten mit den Fackeln, damit Jaakob sich umsähe im Zimmer und erkenne, wo Tisch und Bett standen. Dann wünschte er ihm gesegnete Manneskraft.“ Zusammen mit Literaturprofessor Hermann Kurzke rezitierten Schauspieler des Mainzer Staatstheaters aus Thomas Manns Roman „Joseph und seine Brüder“. Damit stimmten sie ein in eine Lesung in der Reihe „Bibel und Literatur“.

„Wir wollen die Aktualität des biblischen Textes und des Romans aufzeigen“, betonte Isa Mann von der Evangelischen Erwachsenenbildung. Gemeinsam mit Stadtkirchenpfarrer Gregor Ziorkewicz hat sie deshalb das vorherige ökumenisch organisierte Format nun mit einer neuen Konzeption versehen. Dazu gewannen sie mit dem emeritierten Mainzer Literaturprofessor Hermann Kurzke einen der profiliertesten Thomas Mann-Experten der Gegenwart als Referenten. Der 76-Jährige begeisterte mit seinen profunden Kenntnissen, die er oft auch mit einer Prise Humor garnierte. „Von Trieben und Träumen“ hatte er die Lesung mit den Schauspielern Anika Baumann, die aus der Bibel las,  und Henner Momann vom Mainzer Staatstheater überschrieben.

Um die Triebe ging es sogleich in der Hochzeitsnacht des Jaakob (Thomas Mann schrieb ihn mit zwei a) mit seiner, wie er dachte, von ihm angebetenen Rahel. Aber Laban, deren Vater, hatte Jaakob in der Dunkelheit nicht zu Rahel geführt, sondern zu seiner älteren Tochter Lea. „Das war eine abgrundtiefe Gemeinheit“, kommentierte Kurzke das biblische Geschehen. Jaakob erinnerte sich in Thomas Manns Roman noch auf dem Sterbebett an seine Worte in dieser Nacht: „Du Liebe, Kleine, mein Täubchen und Augapfel, Herz meiner Brust… Ich sitze auf dem Bette, wenn du es nicht gesehen hast. Trete geradeaus ins Zimmer hinein und dann etwas rechts. Komm doch, aber stoße dich nicht an den Tisch, sonst tritt danach ein schwarzblauer Fleck auf deiner zärtlichen Haut hervor, und du stößt auch das Bier um. Ich bin nicht durstig nach ihm, das nicht, ich bin nur durstig nach dir, mein Granatapfel.“

Der biblische Jakob hatte also mit Lea geschlafen und musste dem Laban weitere sieben Jahre dienen, bis er auch Rahel heiraten durfte. Mit Lea und zwei Mägden hatte Jakob  bereits zehn Söhne gezeugt, als Joseph, der Erstgeborene von Rahel, zur Welt kam. Dieser wurde Jakobs Lieblingssohn, den er seinen Halbbrüdern vorzog, was dieser wiederum reichlich auskostete. Vor allem mit seinen Traumdeutungen provozierte er sie und zog sich ihren Zorn zu. Sie beschlossen ihn zu töten und warfen ihn in einen Brunnen. Doch als eine Karawane mit Kaufleuten auf dem Weg nach Ägypten vorbeizog, änderten sie ihren Plan und verkauften Joseph als Sklaven. In Ägypten kaufte ihn Potiphar, ein hoher Beamter des Pharao. Damit begann für Joseph die Zeit im Exil.

Nun ist es wiederum eine von Trieben geprägte Geschichte, die in der Bibel nur knapp erzählt wird, die Thomas Mann aber in seinem Roman genussvoll ausgeweitet hat. Die Frau des Potiphar warf sich auf ihren hebräischen Sklaven Joseph und rief: „Schlafe bei mir!“ Kurzke geriet ins Schwärmen: „Thomas Mann hat dieses dünne Gerüst mit Fleisch und Blut erfüllt und aus dem Nichts eine Frau geschaffen.“ Im Roman ist sie mit einem Eunuchen verheiratet, was der Geschichte einen zusätzlichen Reiz verschafft. Joseph widerstand der Versuchung, wurde aber durch falsche Anschuldigungen seitens der Frau ins Gefängnis geworfen.

Seine Kunst, Träume zu deuten, führte Joseph zurück in die Freiheit. Er wurde schließlich gar zur rechten Hand des Pharao. Und als es in Ägypten zum Wiedersehen mit den Brüdern kam, übte Joseph keine Rache, sondern rettete deren Leben.

Für Kurzke ist  die Geschichte von Joseph und seinen Brüdern eine „Urgeschichte der Humanität“, erläuterte er beim Einführungsabend.  Joseph  musste zunächst den bösen Buben spielen, um später als der Gute wirken zu können. „Der Gott des Joseph-Romans ist ein Spieler, ein Künstler, ein Regisseur, der die Menschen ihr ewig gleiches und immer wieder neues Spiel aufführen lässt.“ Aber der Roman gebe auch Orientierungshilfen: „Er macht Vorschläge, wie man in einer glaubenslosen Welt dennoch in Spuren gehen kann.“ Kurzke ist überzeugt: „Für Thomas Mann ist der Joseph-Roman in der Zeit seines eigenen Exils sein „Stecken und Stab“ gewesen, die ihn trösteten“. Den vierbändigen Roman schrieb Thomas Mann in den Jahren von 1926 bis 1943. „Mit der Erzählung der Urgeschichte des Volkes Israel bekannte Thomas Mann seine Solidarität mit den Juden und seinen Widerstand gegen das deutsche NS-Regime“, betonte Kurzke.

Thomas Manns „Joseph und seine Brüder“ ist gerade in einer neuen kommentierten Ausgabe erschienen.

 

 

Diese Seite:Download PDFDrucken

to top