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Vortrag und Podiumsdiskussion

Wenn die eigene Identität nicht zu bestehenden Rollenbildern passt

Evangelisches Dekanat Mainz/Heiko BeckertWer nicht der Norm entspricht, findet kaum Orientierung: Über die Probleme des Coming-outs diskutierten (v. li.) Dr. Claudia Krell (Deutsches Jugendinstitut), Clara Winter (Jung in Mainz), Joachim Schulte (QueerNet Rheinland-Pfalz), Christin Peters (Förderverein Soziale Arbeit Bingen), Katja Zimmermann (IGS Bretzenheim) und Olaf Jacobsen-Vollmer (Evangelische Psychologische Beratungsstelle).

Psychologische Beratungsstelle in den Evangelischen Dekanaten Mainz und Ingelheim-Oppenheim sowie Evangelische Familienbildung Mainz laden ins Haus der Evangelischen Kirche zu Veranstaltung über Homo-, Bi- und Transsexualität in der Jugendarbeit ein

Diskriminierung sollte es in der Bundesrepublik Deutschland eigentlich nicht geben. Eigentlich. Doch die Studie „Coming-out – und dann …?!“ kommt zu dem Ergebnis, dass mehr als 80 Prozent aller homosexuellen und transsexuellen Menschen Diskriminierung erfahren. Gerade Schulen erweisen sich als „ambivalente Orte“, an denen Mobbing und Missachtung üblich sind, berichtete Dr. Claudia Krell vom Deutschen Jugendinstitut und Co-Autorin der Studie.

„Diese Mobbing-Erfahrungen ziehen sich bis zum Schulabschluss durch“, betonte die Psychologin im Haus der Evangelischen Kirche, wo sie die Untersuchung vorstellte. Eingeladen zu der Veranstaltung hatten die Psychologische Beratungsstelle in den Evangelischen Dekanaten Mainz und Ingelheim-Oppenheim sowie die Evangelische Familienbildung Mainz in Kooperation mit dem Landesfamilienministerium, dem Landesaktionsplan „Rheinland-Pfalz unterm Regenbogen“ und dem Verein QueerNet Rheinland-Pfalz.

Studie mit 5000 Teilnehmern

Menschen, die nicht heterosexuell veranlagt sind, müssen sich, um authentisch leben zu können, outen, so Krell. Doch spätestens danach beginnen die Probleme mit Mitmenschen, weil sie den bestehenden Rollenbildern der Gesellschaft nicht entsprechen. Um die Lebenssituation von homo-, bi- und transsexuellen jungen Menschen zwischen 14 und 27 Jahren zu untersuchen, hatten Krell und ihre Mit-Autorin Kerstin Oldemeier Interviews durchgeführt und 5000 Online-Befragungen ausgewertet.

Dass es hier buchstäblich um ein lebenswichtiges Thema geht, zeigen Zahlen, denen zufolge das Suizidrisiko bei sexuellen Minderheiten vier bis sieben Mal höher ist als bei Heterosexuellen. Selbst der engste Familienkreis bietet der Studie zufolge oft keinen Schutz. „Jeder Zweite fühlt sich in der Familie diskriminiert“, berichtete Krell. 17 Prozent hätten explizite Beleidigungen erfahren. Ganz besonders betroffen von Diskriminierung und Missachtung sind transsexuelle Menschen. „Da geht es ums Überleben“, weiß die Psychologin.

Kein Platz für das Thema "sexuelle Minderheiten"

Die Studie wurde 2015 publiziert. Seitdem hat sich offenkundig wenig geändert – zumindest in Mainz und Umgebung. „Es ist kein Thema“, bedauert Katja Zimmermann von der Schulleitung der Integrierten Gesamtschule Bretzenheim. Im Unterricht hätten sexuelle Minderheiten keinen Platz. Schulbücher orientieren sich an der heterosexuellen Norm.

Schüler und Schülerinnen, die dieser Norm nicht entsprechen, können ihr zufolge in Schulen kaum Orientierung finden. Genau die benötigten aber junge Menschen, die mit ihrer Sexualität zurechtkommen müssen. Da sind Bildungseinrichtungen Zimmermann zufolge schlecht aufgestellt: „Es gibt Widerstände auf allen Ebenen.“

Große Hemmschwelle

Auch Freizeitangebote, die Orientierung und Hilfestellungen bieten, sind Mangelware. Und wenn es sie gibt, findet das Klientel nur schwer den Weg dorthin – nicht nur, weil Informationen fehlen, wie Clara Winter von der queeren Jugendorganisation „Jung in Mainz“ anmerkte: „Das Problem ist, dass da eine große Hemmschwelle ist.“

Dem stimmte Olaf Jacobsen-Vollmer, Leiter der Evangelischen Psychologischen Beratungsstelle, zu. Die Angebote der Beratungsstelle nähmen vor allem Familien in Anspruch. Entweder, weil die Eltern wissen wollen, wie sie ihre Kinder vor Diskriminierungen schützen können. Oder weil Väter mit der Veranlagung ihrer Kinder nicht umgehen könnten. Jugendliche selbst aber nutzten das Angebot kaum.

Mehr Freizeitangebote schaffen

Um die Lebenssituation von queeren jungen Menschen zu verbessern, fordern die Verfasserinnen der Studie nicht nur die Bekämpfung von Diskriminierungen, sondern auch die Schaffung von mehr Freizeitangeboten. Wichtig seien darüber hinaus seriöse Informationen in digitalen Medien, realistische Rollenvorbilder, eine bessere Ausbildung für Lehrer und eine weitere Stärkung der rechtlichen Gleichstellung. „Es braucht Sichtbarkeit plus Information“, ergänzte Joachim Schulte von QueerNet Rheinland-Pfalz. Ein umfangreiches Beratungsangebot für Kinder und Jugendliche hält die Evangelische Psychologische Beratungsstelle vor.


Weitere Informationen: www.erziehungsberatung-mz.de


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