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Vortrag

Wie die Abkehr vom Fanatismus gelingen kann

Evangelisches Dekanat Mainz/Armin ThomasIn seinem Roman „Der Anwalt des Paulus“ hat Gerd Theißen wissenschaftliche Er-kenntnis gut verständlich verpackt.

Theologe Gerd Theißen präsentiert in der Altmünsterkirche seinen Roman „Der Anwalt des Paulus“

Gerd Theißen ist dafür bekannt, dass er seine wissenschaftlichen Erkenntnisse auf gut verständliche Weise vermittelt, ohne dabei den nötigen Tiefgang vermissen zu lassen. Das war in seinem vor allem bei evangelischen Studenten hoch geschätzten Werk „Vom Schatten des Galiläers“ der Fall, und hat nun in seinem Roman „Der Anwalt des Paulus“ eine würdige Fortsetzung gefunden. Auf Einladung der Evangelischen Erwachsenenbildung und der Altmünstergemeinde machte sich der emeritierte Professor für Neutestamentliche Theologie in der Altmünsterkirche „ein paar Gedanken zu Paulus.

„Wenn man heutzutage über Religionen spricht, ist oft von Fanatismus und Gewalt die Rede“, begann der 75-jährige Heidelberger Theologe seine Ausführungen vor rund 100 Besuchern. Auch von Seiten der Religionen und Konfessionen werde diese Ansicht gerne geäußert. Allerdings: „Die Fanatiker – das sind immer die anderen.“

Wird Paulus tatsächlich geläutert?

Gibt der religiöse Glaube den Menschen den Mut, ihre eigene Überzeugung nicht zur Disposition zu stellen? Daran, dass Paulus vor seiner Bekehrung zum Christentum ein religiöser Fanatiker war, mag niemand zweifeln. Aber war er später tatsächlich geläutert?  Wurde aus dem Fanatiker ein Versöhner?

Darum geht es auch in Theißens Paulus-Roman. Er spielt Im Jahr 61 n. Chr., als in Rom ein Stadtprä-fekt ermordet wurde. Der Brand Roms und die Christenverfolgung Neros ereigneten sich 64 n. Chr.: Paulus ist in dieser Zeit als Gefangener nach Rom gekommen.

Rahmenhandlung ist erfunden

Theißen zieht diese Ereignisse im Roman zeitlich zusammen. Die Rahmenhandlung hat er erdichtet: Beauftragt von der jüdischen Gemeinde soll der Anwalt Erasmus soll Paulus verteidigen. Erasmus, der der jüdischen Gemeinde nahesteht, ohne selbst Jude zu sein, vertritt eine neue Richtung. Paulus indes hat Streit mit allen: den jüdischen Glaubensbrüdern, den Eliten Roms und bald auch mit seinem Anwalt. Denn dieser will keinen Mann verteidigen, den er für einen Fanatiker hält. Doch Erasmus verliebt sich, was dem Roman eine Wendung verleiht.

„Die Geschichte des Paulus spricht bis heute existenziell an“, ist Theißen überzeugt. Damit auch Menschen einen Zugang dazu finden, die keine wissenschaftlichen Abhandlungen lesen, hat er den  Roman geschrieben. Und sorgt damit keineswegs für Konfusion: Denn der Leser findet Fußnoten mit Hinweisen auf die tatsächlichen Quellen. Sie ermöglichen ihm, Fakten und Fiktion zu unterscheiden.

Vorschriften nicht so genau genommen

Wahr ist: Der historische Paulus hatte viel Ärger mit seinen jüdischen Glaubensbrüdern, insbesondere weil er es mit den Beschneidungs-, Speise- und Reinigungsvorschriften nicht so genau nahm. Theißen verglich die Haltung des Paulus  mit einem aktuellen Konflikt: „Heute streiten wir übers Kopftuch, obwohl es darauf ankommt, was sich darunter befindet.“

Dafür erntete Theißen später Kritik von Seiten seiner Zuhörer. Doch der evangelische Theologe blieb dabei: „Wenn ich mit dem Zug unterwegs bin und mir gegenüber sitzt eine Frau mit Kopftuch, die ein Physikbuch liest, habe ich viel Respekt davor.“

Paulus polemisierte

Wurde Paulus durch seine Bekehrung zum Christentum denn nun vom Fanatismus geheilt oder nicht? Theißens Antwort: „Paulus hatte immer den Ehrgeiz, die Nummer eins zu sein. Und er hat gegen Juden und gegen Christen polemisiert.“

Heute würde ihn der Verfassungsschutz vermutlich als „Gefährder“ einstufen. Aber: Paulus‘ erste Freundin sei die Thora gewesen, die  zweite die christliche Lehre. Und: „Wenn man etwas bekämpft, das man vorher befürwortet hat, dann be-kämpft man es noch mehr.“
Doch Paulus Ziel sei es gewesen, jüdisches und christliches Leben zu vereinen.

"Gott mit ganzem Verstand lieben"

In Römer 11,26 heißt es: „Ganz Israel wird gerettet werden.“ Für Paulus gelte das Wort „Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat“ gleichermaßen wie die Nächstenliebe. Das beinhalte, „dass wir Gott mit ganzem Verstand lieben sollen“. Vernunft ohne Glaube neige zum Zynismus, Glaube ohne Vernunft zum Fanatismus. Das Leben des Paulus zeige: „Religion ist gefährlich, aber eine Umkehr kann gelingen.“


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